Theologie
       

Warum gibt es Leid auf der Welt und warum müssen auch unschuldige Menschen leiden?

Darstellung der theologischen Aussagen Dorothee Sölles zur Frage nach dem Sinn des Leidens.

 

  Kapitel 1: Die Kritik am christlichen Masochismus
  1.   Calvin: Es gibt kein Leiden ohne einen Grund. Jedes Leid ist Gottes Strafe für begangene Schuld.
 
  2.   Sölle: Definition von Leiden (nach S. Weil: psychisch, physisch und soziale Destruktion)  
    a) Es ist das Bewusstsein eigener oder kollegialer Machtlosigkeit.  
    b) Es ist der Verlust aller eigenen Orientierung in einem Entscheidungsprozeß.  
    c) Es ist eine Art Beziehungslosigkeit und Verhältnislosigkeit.
 
  3.   Sölle behauptet, dass im Christentum die 3 Dimensionen des Leidens, vor allem die soziale Dimension unterschlagen wurden.  
    a) Leid wurde benutzt, um menschliche Ohnmacht unter göttliche Macht zu stellen, um Gottes Macht überhaupt erst zu rechtfertigen und zu demonstrieren. Es war dem Christentum klar, dass Gott Leiden verursachen kann, warum durfte nicht gefragt werden.  
    b) Auch dort wo die Ursachen erkennbar waren (z.B. soziale), wurde in christlicher Theologie nicht nach diesen gefragt. Fast alle christlichen Deutungen verleugnen die Unterscheidung von Leiden, die wir beenden können und solchen, die wir nicht beenden können.  
    c) Es gab christliche Ansätze, die auch Leiden, das beendet hätte werden können damit deuten, dass es erzieht, es den menschlichen Stolz bricht, es eine Prüfung für den Glauben sei oder eine Läuterung, oder dass es mit Gottes Zorn erklärt wurde (alle diese Erklärungsmodelle sieht Sölle als Masochismus an, es würde versucht den Standpunkt Gottes dabei einzunehmen).  
    d) Es gibt laut Sölle in der Bibel keine systematischen Ansätze für den Versuch einer Klärung des Leidens. Es gibt nur so etwas wie eine existenzielle Sündendeutung. Im AT wird auch die Theorie immer wieder korrigiert, dass Gott alleine Leiden schickt. Hiob 5,6f Menschen erzeugen Leiden.  
    e) Einer der Masochismen sei, dass bei vielen Erklärungsmodellen der menschliche Intellekt und die menschliche Stärke mit Leiden umzugehen, bzw. sie auch anzunehmen, verachtet wird.  
  4.   Sölle stellt andere christliche Theologen vor:  
    a) Noch schlimmer ist es, wenn bei Calvin gesagt würde, Gott handle nie grundlos, wenn er Leiden verhängt, so sei es gerecht (Strafe). Sölle fragt hier, wieso es zu einem Gottesbild kommen konnte, bei dem Gott als Rächer 100fache Vergeltung fordere und Menschen quält. Das sei Gottesbild von Menschen, die sich selbst verachten.  
    b) Moltmann: Leiden finde als innertrinitarischer Prozeß statt. Gott (allmächtiger Vater) verursacht Leiden, er leidet selbst in Jesus Christus (liebender Gott). Sölle greift an, dass Moltmann versucht, den allmächtigen Gott durchzuhalten.

 

 
  Kapitel 2: Zur Kritik der nachchristlichen Apathie  
  1.   Sölle zeigt Abgestumpftheit der Menschen der ersten Welt gegenüber denen in der dritten Welt auf. Diese hänge mit der Erfahrung zusammen, dass es keine großen Veränderungen gibt. Die Apathie, Unfähigkeit zu leiden, sei beherrschendes Element westlichen Verhaltens. Es fehlen Sprache und Gesten, sich mit dem Leiden auseinander zu setzen. In westlicher Welt herrscht der Wunsch nach Leidenslosigkeit und Schmerzlosigkeit. Dahinter aber stünde eine Nekrophilie, die Liebe zum Toten, Erstarrten, Regungslosen, Wunsch alles Organische ins Anorganische umzuwandeln. Im leidlosen Zustand flachen alle Empfindungen für Glück, etc. ebenfalls ab. Nichts kann mehr intensiv gelebt werden (Schweden -perfect world hat höchste Selbstmordquote). Amerikaner werden angeführt als Beispiel, wie z.B. während dem Vietnamkrieg Emotionen abgestumpft wurden.  
  2.   Sölle behauptet, dass die Christen ein antikes Leidensideal, das von einem apathischen Gott übernommen hätten, was aber dem biblischen Gott, der Emotionen zeigt, widerspricht. Die Evangelien hätten noch ein Gottesbild eines fühlenden, leidenden Gottes übermittelt, nicht aber die griechisch orientierten Patristiker. Wo Gott als Macht, Herr, König gedacht wird, da taucht der Gedanke an das Leiden Christi nur als vorübergehendes Übel auf, das im Grunde einem höheren Gut diene. Das aber sei falsch!  
  3.   Kitamori: Er sagte, Nachfolge Christi bedeute, dass Menschen mit ihrem eigenen Schmerz dem Schmerz Gottes dienten. Sölle fordert daher die Stärkung des Menschen, wo er aus der Passivität der Apathie erwacht und lernt, seine Schmerzen anzunehmen. Dienst am Schmerz Gottes, sei Dienst am Schmerz der Welt, aktiver sozialer Dienst, Leiden zu lindern (Matthäus 25, 31ff).

 

 
  Kapitel 3: Leiden und Sprache  
  1.   Sölle erklärt am Beispiel von monotoner Arbeit wie Leiden Menschen sprachunfähig macht, ihr Lernen verhindert und gleichzeitig noch Angst beinhaltet (Verlust Arbeitsplatz, Krankheit, usw.). Extremes Leiden zerstöre die Fähigkeit zur Kommunikation, übergroßes Leiden macht klein, verhindert Veränderungen.  
    a) Wichtig sei daher eine Sprache zu finden, die Leiden ausdrücken und benennen kann. Ebenso Gesten, usw. entwickeln. Schlimm ist, wenn einer schon nicht mehr schreien kann.  
    b) Inhalte des Leidens müssen ausgesprochen werden, dazu braucht es Zuhörer, beratende Personen.  
    c) Befreiung aus Leiden muss organisiert werden.  
    d) Eine Möglichkeit sich aus Leiden zu lösen, ist das Gebet (100ff). Hier geschieht Selbstformulierung des Menschen, ein Dialog mit sich selbst, der hilft zur Orientierung. Entscheidend dabei ist aber, wer der Dialogpartner des Christen im Gebet ist (Christus, Geld, eigene Vitalität?)? Menschen sollen begreifen, dass ihr Leben nicht rein schicksalhaft zu sehen ist, und dass sie es nicht mit einem stummen Gott zu tun haben. Gebet darf nicht darauf hinauslaufen, sich einfach mit Leiden abzufinden. Das Gebet sei eine Art subversiver Akt, wo Menschen wieder wagen ihre Wünsche und Lebensvorstellungen selber zu äußern und anders mit Leiden umzugehen, als es die Industriegesellschaft empfiehlt.  
    e) Jesus ist im Leiden nah (108f). Unser Leiden nicht von seinem Leiden unterscheiden, unser Leiden nicht kleiner machen. Er ist nicht der "Superleider" neben dem alles andere verblassen muss. Aber äußerstes Erleiden, das er erlebte, zeigte die Erfahrung der Gottesverlassenheit, der Enttäuschung, Desillusionierung, die Zerstörung des Vertrauens in eine verläßlich Welt.  
  2.   Die Theodiezeefrage kann überwunden (116) werden von einer unbegrenzten Liebe zur Wirklichkeit, sie kann überwunden werden durch die Annahme der Wirklichkeit. Wo das Urvertrauen durchgehalten wird, dass denen, die Gott lieben letztlich doch alle Dinge zum Besten dienen, da geht das Durchhalten der eigenen Persönlichkeit im Leiden über das Ertragen von Schmerz weit hinaus - da lebt die Liebe zur Wirklichkeit und bejaht die Totalität (Gott) dennoch (Beispiel J. Lusseyran). Gott muss nicht mehr alles machen, er bleibt aber das Symbol für unsere unendliche Fähigkeit zu lieben (117)! Die Theodizee wird überwunden, wo Menschen ihre Liebe zu Gott in den Vordergrund stellen, der im Lieben erst wird. Diese Liebe zu Gott wird dann nicht abhängig gemacht von der Erfüllung bestimmter Dinge (z.B. dass Leiden endet, usw.).  
    a) Sölle sieht solches Lieben bei den Mystikern wie Eckart und Tauler (119). Sie zeigen, dass die Liebe zu Gott stärker sein kann, als jede Form des Unglückes. Gott ist kein Herrengott mehr. Er ist vielmehr unser innerster Zustand, unser tiefstes Subjekt selbst. Dies geht durch Leiden dann nicht verloren, kann nicht zerstört werden, da siegt die Liebe über das Leiden. Gott bedingungslos zu lieben heißt nicht, seine eigenen Wünsche zu verleugnen(120).  
    b) Wie kann im Sinne der Mystiker mit Leiden umgegangen werden, fragt Sölle weiter. Die Mystiker sagen, es bestünde zuerst die Möglichkeit, das Haften am Endlichen und das Besitzen-Wollen (Habenwollen) schrittweise aufzugeben, denn gerade aus den Habensansprüchen erwächst Schmerz und Angst. Das Herausgehen aus dem Besitzen-Wollen ist ein schmerzhafter Prozess der Veränderung, denn der Mensch lässt bestimmte Dinge, Umorientierungsprozess. Dann aber wird man frei, neue Erfahrungen auch im Leid mit Gott zu machen (123f).  
    c) Die christliche Mystik zielt darauf, das Leiden anzunehmen und aus der Annahme heraus die Welt zu verändern. Es gilt ihr immer auf ein gutes Ziel zu hoffen. Stärker ist der Mensch der Unrecht leidet, als jener, der es tut (129).  
    d) Die Annahme des Leidens im Christentum wurde immer beargwöhnt. Man sagte, sie festige bestehende Zustände, sie sei eine verschleierte Unterwerfung, sie rechtfertige geschehendes Unrecht. Dagegen sagt Sölle, es ginge nicht um eine einfache Hinnahme der Realität des Leidens (diese sei immer zu kritisieren, soziales Leiden muss verändert werden und auch gegen natürliches Leiden, wie Krankheiten muss human gehandelt werden).  
    e) Glauben heißt Ja sagen zu diesem Leben mit seiner Endlichkeit, an ihr zu arbeiten und sie offen halten für die versprochene Zukunft (135).  
    f) Leiden annehmen, sei ein Versuch das Ganze des Lebens als sinnvoll anzusehen, und es zu gestalten, als Glück (136). Das heißt jedoch niemals, dass man Leiden einfach als nicht änderbaren Zustand ansieht. Hiob klagt Gott an. Er arbeitet z.B. die Absurdität göttlichen Handelns heraus (143). Hiob erweist sich stärker als der Gott, der ihn prüft. Er lässt sich seine Persönlichkeit nicht nehmen und trägt sein Bild von Gott durch. Gegen einen dämonischen, bösen Gott (straft, unterwirft nur, demonstriert blöde Macht) bleibt Hiob fromm und wehrt sich. Er wartet auf einen anderen Gott, Sölle setzt diesen anderen gleich mit Jesus Christus (148).

 

 
  Kapitel 4: Leiden und Lernen  
  1.   Sölle sagt, dass Leiden empfindlicher mache für Schmerz und uns lehren würde, eine bessere Liebe aufzubringen für das Leben.  
    a) Das westliche Christentum (158) sei leidensfrei geworden (eine Religion für die Reichen). Auch Leiden sei ein Weg zu Gott  
    b) Es ginge darum Christus gemäß zu werden als Aufstand gegen einen despotischen Gott und alle despotischen Mächte, und es ginge darum, so bei den Unterdrückten zu bleiben (162).  
    c) Menschen haben allenfalls die Wahl, worum willen sie leiden müssen, nicht aber, ob sie leiden oder gar nicht leiden (163). Leiden das fruchtlos bleibt, sei unsinnig. Es würde nur bestehende Zustände zementieren (Müntzer: Der Teufel hat Märtyrer, also Menschen, die durch ihr Leiden aber Nichtstun die bestehenden Zustände stützen).  
    d) Wenn die wichtigste Frage an das Leiden die ist, wem es dient (Gott oder dem Teufel), dann sei die Theodizee-Frage überholt (165).  
  2.   Sölle fragt, wem dient ein Leiden und was bewirkt es? Sie verweist auf das Leiden Christi und sagt, dass dieses Leiden Menschen stärken kann (171). Es sei die Darstellung einer menschlichen Möglichkeit, es sei Hoffnung auf Humanisierung auch unseres Leides. Die Leidensgeschichte Jesu hat nur noch dann Bedeutung, wo verstanden wird, dass Jesus immer weiter stirbt, wo Menschen gedemütigt, gequält, usw. werden (171). Das Vermächtnis des Todes Jesu würde dort richtig gefeiert, wo es im Weitersterben der Opfer dieser Welt erkannt wird (172). Die Theodiezeefrage wird transformiert zu dem Satz: Ich und der Vater sind eins. Die Menschen sind gesandt, wie Jesus, die Gerechtigkeit Gottes zu verwirklichen, so wie sie in Christus erschienen ist. Die Passion Jesu kann gelebt werden, auch in menschlichem Leiden, in der Einheit mit dem Vater, in der Gewissheit der Wahrheit des Lebens, das immer für Menschen ist und nicht gegen sie (172). In der Nachfolge kann Leiden transformiert werden zur Stärke und Selbstgewissheit (z.B. Widerstandskämpfer im 3. Reich, S. 173).  
  3.   Sölle unterscheidet erzwungenes Leiden von anderen Formen des Leidens und nennt das erzwungene Leiden (z.B. das Leiden der Juden im 3. Reich) sinnlos (174). Am sinnlosen Leiden erst entstünde die Frage nach dem allmächtigen Gott, und warum er nicht eingreift.  
    a) Sölle stellt fest, dass göttliche Allmacht mit göttlicher Liebe nicht überein kommen (175).  
    b) Die Theodizee abschaffen sei auch keine Lösung, da sonst auch die Suche nach Gottes Liebe aufgegeben werden muss (177). Nicht Rückzug sondern Überwindung der Theodizee wird von ihr gefordert.  
    c) Sölle fordert auf Gott nicht zu lassen, weil Hoffnung angesichts auch sinnlosem Leid ausgesprochen werden muss (178). Sie sagt, wir müssen es leisten, angesichts der Frage auf den allmächtigen Vater zu verzichten. Gott ist nicht der Henker, er hängt vielmehr selber am Galgen (181).
  d) Das Kreuz meditieren heißt, die Liebe ist nicht eine überirdische Macht, sie ist vielmehr eine die eingreift, streitet, handelt, ans Kreuz geht und leidet. Kein Himmel könne Auschwitz je wieder gut machen (182), kein despotischer Pharao-Gott könne das, wohl aber jener, der mit an die Galgen ging (jüdisches Beispiel 186 - Gott hängt am Galgen).

 

 
  Kapitel 5: Die Religion der Sklaven  
  1.   Christlicher Glaube bildet keine Aufhebung des Leidens oder einfachen Trost, sondern trachtet nach einem übernatürlichen Gebrauch des Leidens (189). Der Schrei warum Gott, zielt nicht auf die Ursache, sondern im Grunde ist er Suche nach dem Zweck, wozu muss ich leiden. (190).  
  2.   Die einzige Wahl, die wir haben, als Christen ist, zwischen dem absurden Kreuz der Sinnlosigkeit und dem Kreuz Christi zu wählen. Das sei die Wahl zwischen dem Tod aus apathischer Hinnahme und dem Tod aus Leidenschaft (Passion) (192).  
  3.   So ist das Christentum eine Sklavenhalterreligion, denn jede Form des Mitleidens kreuzt den biologischen Selektionsgedanken! (196f). Das Christentum sieht das Leben jener besser bewahrt, die durch Leiden hindurchgegangen sind, schon einmal gestorben sind (Paulus).  
  4.   Die Liebe bedarf des Kreuzes nicht, aber sie kommt ans Kreuz, immer wieder. Das Kreuz sei eine Antwort der Welt auf jeden Versuch der Befreiung (200). Sinn des Kreuzes sei es nicht, Gott mit dem Elend zu versöhnen und uns mit dem Paradox abzuspeisen. Leiden für andere produktiv machen, können wir nicht (203), das kann nur jeder für sich im Glauben leisten. Man kann anderen bei dem Prozess der Annahme allenfalls helfen.
 
  5.   Sölles Frage ist immer wieder die, ob Leiden für uns produktiv werden kann (207)? Sie meint, die Zahl der Menschen könne wachsen, die das Leiden ohne viel Angst erleben und es als Stärkung erfahren. Wir sollten lernen, das Leben so zu lieben, dass unsere Bejahung den Schmerz und das Leiden einzuschließen vermag (207). Das Leiden vermeiden schließt ein, dass wir aufhören zu lieben.
 
  6. a) Die Frage nach den sinnlos Leidenden bleibt nach Sölle bestehen. Sie kann nur angegangen, nicht endgültig beantwortet werden von denen, die im Leiden lernen (208). Ihre Antwort wird den Versuch der Änderung von Leiden nie aufgeben. Dort, wo nichts zu machen ist, wird sie mitleiden!  
    b) Es gibt dabei kein fremdes Leiden, jedes Leiden geht uns an. Dass die Leidenden zusammengehören und nicht von anderen zu trennen sind, dass der Schmerz nicht aufteilbar ist, das gehört zur Religion der Sklaven (211).
 
    c) Mythische Sprache sagt: Gott wird abwischen alle Tränen (2 Räume-2 Zeiten-Weltbild). Es ist dennoch Sprache derer, die um ihr Leben betrogen wurden und deren Leben eingeklagt wird. Es ist die Sprache der Liebe, die sich mit diesem Betrug am Leben nicht vertrösten lassen will. Im Falle des toten jüdischen Kindes kommt auch Gott in einem solchen Modell zu spät, es ist tot. Sinn macht es nur noch, dass Gott in diesem Fall das ist, was sich zwischen Menschen ereignet. Dann höre die Beziehung zu dem Leben dieses Kindes nach seinem Tod nicht einfach auf, sondern sein Tod schreit danach, dass das Leid dieses Kindes im Leben anderer Kinder niemals wiederholt wird (212). Chaim nützt das nicht persönlich. Aber wenn Chaims Leiden nicht seines persönlich bleibt, sondern meines wird und es mich angeht über seinen Tod hinaus, dann wird es einmal auch meinen Kindern nützen. Daraus folgt, es gibt kein fremdes Leid, es gibt auch keine fremde Auferstehung.  
  7.   In den Brüdern Karamasow leidet Iwan an Gott. Er lehnt ihn um der Liebe willen ab. Aljoscha verweist ihn auf Christus. Aljoscha lehnt dabei den Gedanken ab, die Harmonie und den Frieden damit zu erkaufen, dass man nur ein einziges Wesen zu Tode quälen müsste(213). Unterschied zwischen Iwan und Aljoscha ist die Blickrichtung. Iwan rebelliert gegen den seiner Meinung nach verursachenden Gott. Aljoscha blickt auf die Leidenden. Er stellt sich neben sie und versucht ihren Schmerz mitzutragen. Er sagt gegen Iwan nichts, küsst ihn nur! Gott ist in Aljoscha, nicht über ihm. Wenn man von Demut in diesem Falle sprechen kann, dann liegt sie darin, dass die Beziehung zu den Leidenden so stark ist, dass alle anderen Fragen dem nachgeordnet werden (214). Die Demut bezieht sich dabei gar nicht auf Gott, sie ist vielmehr der Mut, anderen ohne Frage oder Bedingung zu dienen (215). Aljoscha versucht nicht "gottförmig" zu werden, was auch bedeutet, eine Gesamtlösung für die Welt zu fordern. Christi Bruder werden, enthält den Verzicht auf die Gesamtlösung. Der Blick richtet sich vom Himmel weg, auf die Leidenden hin. Beide sehnen sich nach einer leidfreien Welt. Aber was für Iwan Illusion ist, ist für Aljoscha Hoffnung. Der Unterschied ist minimal - er besteht in uns selbst, in unserer Einstellung zum Leben, in unserem Glauben. Zukunftserwartung wird zur Hoffnung erst durch den leidenden Einsatz unserer selbst in Christi (216). Nur die Liebe kann sich selber schuldig sprechen und alles Leiden was wir nicht verhindert oder abgewandt haben, auf sich nehmen (216).